Hochzeit

Das Pfarrhaus von Maria Himmelskron hatte den Krieg überstanden, aber der Verputz bröckelte und die Mauern hatten Risse bekommen. Pfarrer Weil, der Fachmann für Bauangelegenheiten, beschloss anfangs der 1950er Jahre, das Mauerwerk auszu­bessern und das gesamte Pfarrhaus neu zu verputzen. Ein Gerüst wurde rund um dieses Haus gestellt und der Pfarrer machte sich persönlich an die Arbeit. Die Arbeit ging ihm gut von der Hand; er freute sich über den Fortschritt und ging ganz in seiner weltlichen Arbeit auf. Es war samstags, fünf Minuten vor zwei. Er stand auf der dritten Etage des Gerüstes, hatte die blauen Latzhosen an, den blauen Kittel, die Kelle in der Hand, als plötzlich ein blumen­geschmücktes Auto vor der Kirche vorfuhr. Ein Braut­paar stieg aus. „Hab’ ich doch glatt die Hochzeit vergessen“, durchzuckte es den Pfarrer. „Ich komme gleich“, rief er von oben dem Brautpaar zu, stieg so schnell er konnte von der Leiter runter und rannte durch den Pfarrgarten von hinten in die Sakristei. Der Organist intonierte aus Wagners Lohengrin den Hoch­zeitsmarsch „Treulich geführt, ziehn wir dahin“, der Pfarrer schritt würdig vor den Altar, das Hochzeitspaar kommt ihm durch das Kirchenschiff entgegen. Eigent­lich war’s wie immer. Aber irgendwas war doch anders. Die Braut hatte es als erste bemerkt: die Schuhe. Der Pfarrer hatte in der Eile vergessen seine Schuhe zu wechseln und stand nun im Festtags-Messgewand mit den alten Speis verdreckten Maurer­schuhen vor Gott und dem Brautpaar. Zwischen­zeitlich hatte er es selbst bemerkt, denn er sah auf dem sonst blank geputzten Fußboden vor dem Altar seine Fußspuren. Sonderlich peinlich war es ihm jedoch nicht; das Pfarrhaus musste ja schließlich verputzt werden. Und er beeilte sich daher; die Ansprache fiel etwas kürzer aus als sonst und der Segen Gottes kam schneller als üblich über die Lippen des Pfarrers. Überhaupt, es war die schnellste Hoch­zeit, die er je zelebrierte. Er musste sich ja auch beeilen, denn der frisch angerührte Speis in der Bütte wäre sonst hart geworden, und Zement war sehr teuer. Als das Brautpaar zu den Klängen der Bach’schen Toccata D-Moll aus der Kirche vor das Portal trat, rief eine Stimme von der dritten Etage des Gerüstes: „Alles Gute für Euch“, und der Pfarrer winkte in der blauen Latzhose mit der Kelle dem Brautpaar zu. Das blumengeschmückte Auto fuhr ab. Das Brautpaar kam nie wieder. Sie gingen ab sofort sonntags zur Heiligen Messe in den Wormser Dom.

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