Vorwort von Wolfhard Klein

 

Wenn man nicht sehen könnte, würde man Orte und Regionen an Gerüchen und Geräuschen erkennen. Sie sind unverwechselbar. Nur die Lärmbänder ausgelasteter Autobahnen sind nicht zu unterscheiden. Man erkennt Orte und Regionen aber auch an der Mundart, am Klang der Stimmen. Ein Dialekt bedeutet Vertrautheit dort, wo er verstanden wird. Wer den jeweiligen Dialekt nicht spricht oder versteht, wird ausgegrenzt. Für die Kommunikation über die Verbreitungsräume eines Dialektes hinaus bedarf es einer Dachsprache – das ist bei uns Hochdeutsch. Die Sprache für die internationale Kommunikation ist Englisch. Es ist nicht einfach mit der Sprache. Deshalb sind die Gegenwart und erst recht die Zukunft mehrsprachig.

 

Mundart verschwindet schleichend. Mein Opa in Westfalen hat noch Platt „gekürt“. Ich spreche Hochdeutsch und lebe in Rheinhessen. Definierte Sprachräume werden aufgebrochen. Kriege und Vertreibung haben die Zusammensetzung der Bevölkerung von Dörfern und Städten verändert. Pendler wechseln die Sprachräume. Der Arbeitsplatz ist nur noch in Ausnahmefällen am Wohnort. Weil die Arbeit nicht kommt, geht oder fährt man zur Arbeit, auch wenn dort eine fremde Mundart gesprochen wird. Dafür kommen Touristen – und die stammen aus anderen Dialektregionen. Und die Medien, sowohl die Print- als auch die elektronischen Medien, benutzen die Hochsprache, nicht den Dialekt. Mundart ist gesprochene Sprache. Auch in Mundart Geschriebenes ist besser verstehbar, wenn es laut gelesen wird. Macht es Sinn, gesprochene Sprache, hochdeutsch geschriebene Gedichte, zu verschriftlichen? Mitunter geht es bei Mundart (manchmal sogar in Schreib-Wettbewerben) darum, unreflektiert und tümelnd an längst Vergangenem festzuhalten. Das wird nicht gelingen und das will dieser Gedichtband nicht. Allein durch seine Zweisprachigkeit werden mundartliche Begriffe und Redewendungen bewusst gemacht und dadurch erhalten. Das ist lohnenswert. Und was löst der Klang eines Textes aus einer anderen Sprachregion oder ein Gedicht in „Hochsprache“ aus, wenn er ins Rheinhessische übertragen wurde? Was kann der Dialekt über den ursprünglichen Text hinaus vermitteln, auslösen oder bewirken? Wenn sie dieses Buch lesen, werden Sie das spüren.

 

Regionale oder lokale Sprachen haben „Eigenarten“. Einige sind knapp und präzise. Aus dem Westerwald kommt die kürzeste mir bekannte Liebeserklärung: „Öm“. Wörtlich übersetzt: „hinlegen“. Andere Dialekte sind umschreibend, manchmal ausschweifend. Es gibt Menschen, die sprechen im Zusammenhang mit der rheinhessischen Mundart von „Rheinhessen-Serpentinen“. Dialekte spiegeln Eigenarten der Menschen der jeweiligen Sprachregion, die als Lebens-, Arbeits- und Wohnregion die dort lebenden Menschen prägte. Humor, Härte, Schnelligkeit, Witz usw. Dialekte und ihre Eigenheiten sind Überbleibsel der historischen Einheit von Lebens- und Sprachraum.

 

Gedichte, zumal wenn sie, wie in diesem Büchlein, das Thema Mann und Frau und Liebe thematisieren, sind ein Spiel mit Worten. Eine besondere Art der Erzählung, in der Ereignisse und Handlungen nach definierten Kriterien „verdichtet“ und zugespitzt werden. Mitunter bedarf es einer besonderen Verfasstheit der Lesenden oder Zuhörenden, um ein Gedicht zu erschließen. Ja. Das gilt auch für Liebesgedichte. Und Vorsicht, Gedichte können Stimmungen auslösen. Im Bereich von Emotion und Gefühl kann es die „neutrale“ Sprache sein, aber bei diesem besonderen Thema ist es vielleicht die Mundart, die die emotionale Wirkung der vorliegenden Texte voll entfaltet. Es ist wie mit Gerüchen oder Geräuschen. Über den Klang der Sprache kann sich Nähe und Vertrautheit einstellen. Ein Wiedererkennen. Eine Sehnsucht. Der vertraute Ton, dieselben Worte für dieselbe Sache.

 

Den Wein in der verkorkten Flasche kann man nicht riechen, den im Glas schon. So gesehen kann die Mundart ein Flaschenöffner sein. Und um lesenswerte Texte an Leserinnen und Leser heranzubringen ist (fast) jedes Mittel recht, denn es lohnt, die Gedichte von Goethe, Busch, Heine, Schiller, Ringelnatz, Eichendorff, Rilke u.a. zu lesen, die Hartmut Keil und Walter Passian neben eigenen Gedichten für dieses Buch zusammengestellt haben. Damit die Texte in jedem Falle wirken ist der Gedichtband zweisprachig.

 

Viel Vergnügen bei der Lektüre von „Mann + Frau = Liebe?

 

Jugenheim/Rheinhessen, im Oktober 2014

Wolfhard Klein

 

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Prolog von Hartmut Keil

 

Prolog von Walter Passian

 

Inhaltsverzeichnis "Mann + Frau = Liebe?"

 

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